Liebe Gemeinde!
„Handle anders, als von Dir erwartet!“
Das ist die Botschaft der Fastenzeit. Und das verstanden die Hörer Jesu damals sehr gut. Jeder römische Soldat konnte einen Galiläer zwingen, sein Gepäck eine Meile zu tragen. Und es war klar: Jeder Galiläer schmiss das Zeug hin, sobald er den nächsten Meilenstein erreicht hatte. Aber was für eine Verwunderung, wenn da einer noch einmal eine Meile mit dem Unterdrücker ging. Eine Meile ihm schenkte. Solch eine großherzige Geste, die konnte dazu führen, dass Römer und Galiläer ins Gespräch kamen, dass zwei Menschen sich gegenseitig wahrnehmen. Martin Luther King sagt: „Gewalt verstärkt den Hass. Unrecht bringt neues Unrecht hervor. Dunkelheit kann die Dunkelheit nicht vertreiben, das kann nur das Licht. Hass kann den Hass nicht vertreiben, das kann nur die Liebe.“ Jesus will, dass wir lernen, die Spiralen der Gewalt und des Hasses zu durchbrechen. Sonst wird das Ganze noch schlimmer, und noch weniger lösbar. Was wir zurzeit in Syrien erleben, in der Ukraine, was wir seit Jahrzehnten in Israel und Palästina sehen, das ist genau das, was Menschen kaputt macht und ihnen das Leben raubt. Die Situation wird immer schlimmer. Und die Städte in Syrien, in der Ukraine, die in Schutt und Asche liegen, werden immer mehr. Durch den Hass und die Gewalt wird nicht nur das Land in Trümmer gelegt, sondern auch in die Herzen der Menschen ein Hass gepflanzt, gegen den es kaum ein Mittel gibt. Es sei denn, die radikale Bekehrung zu der Sichtweise des Menschen, wie Jesus Christus sie uns währen der Fastenzeit lehrt. Jesus ist in die Welt gekommen, damit wir von ihm lernen, die Sichtweise Gottes. Der freie Blick auf den anderen! Einer muss aufhören zurückzuschlagen, einer muss aufhören auf Rache zu sinnen, einer muss die Kette durchbrechen. Der erste, der dies vollbringt, im Namen Gottes, ist Jesus Christus. Er wird eines Tages beide Wangen hinhalten. Er wird beide Hände und beide Füße zum festnageln hinhalten, damit sich das Böse an ihm totläuft. Dieser Gott geht mit jeder und jedem von uns nicht nur zwei Meilen, sondern ist ein Leben lang unser Weggefährte, selbst dann, wenn einer von ihm nichts wissen will. Er trägt nicht nur mein Gepäck, er trägt jede und jeden von uns. Er gibt nicht nur den Mantel, er hängt halbnackt am Kreuz. Die Kreuzigung ist praktizierte Feindesliebe. Am Kreuz löst Jesus das ein, was er heute uns vorstellt, als die Sichtweise Gottes auf den Menschen. Gott lässt sich vom Menschen und vom Bösen und vom Hass nicht unterkriegen. Gott ist stärker, denn er ist das Licht, das die Dunkelheit vertreiben kann, und er ist die Liebe, die den Hass besiegt. Alle, die sich darauf einlassen, werden diese Erfahrung machen. Aber, das geht nicht ohne Schmerzen, ohne Tränen, ohne das Aushalten von Ohnmacht und Kreuz. Aber nur so kommen wir weiter, wir Menschen. „Handle anders, als von dir erwartet!“ Entwaffne den anderen durch deine Menschlichkeit. Sieh die Menschen mit Gottes liebenden Augen. Amen.
Prakash Francies, Pater

Auszug aus dem Wochenbrief Nr. 10/2023