Liebe Gemeinde!
Haben Sie auch Giersch im Garten?
Treibt er Sie auch in den Wahnsinn?
Bis vor einiger Zeit war Giersch das Schlimmste, was mein Garten zu bieten hatte. Er überwucherte die „richtigen“ Pflanzen und er ist beinahe unmöglich zu entfernen. Ich hatte gelesen, dass er essbar sei und aus lauter Verzweiflung entschied ich irgendwann: „Egal, wie Du schmeckst, wenn ich Dich nicht ausreißen kann, werde ich Dich jetzt aufessen,“ Was geschah? Gierschsuppe gehört nun zu meinen Lieblingssuppen und weitere Recherche zeigte, dass Giersch ein außerordentlich gesundes und wertvolles Wildgemüse ist. Seitdem warte ich im Frühjahr förmlich auf die ersten frischen Blätter. Giersch ist in meinem Garten ein Gemüse und kein Unkraut mehr.
Im Evangelium hören wir an diesem Sonntag ein Gleichnis: Der Bauer soll das Unkraut zwischen dem Weizen erst dann ausreißen, wenn es groß genug und sicher erkennbar ist, so dass mit dem Unkraut nicht auch der Weizen ausgerissen wird.
Die soziale Stimmung, auch in der Kirche, verschärft sich. Viele meinen zu wissen, was für Gott falsch und sündig ist und fordern Hölle und Verdammnis, zumindest aber Ausschluss und Zurückweisung für Menschen, Lebensweisen und Haltungen, die sie nicht verstehen oder als falsch empfinden. Besonders in sozialen Netzwerken, auch auf katholischen Seiten, werden oft Hassbotschaften und Verunglimpfungen verbreitet, die keines Christenmenschen würdig sind.
Das Gleichnis vom Unkraut im Weizen ist für mich daher eine Ermahnung an uns alle: Nicht wir sind die, die entscheiden, was Unkraut und was Weizen ist – und vor allem ist es nicht an uns, schon vor der Zeit dafür zu sorgen, dass alles, was nicht in unser Weltbild passt, ausgemerzt wird. In Gottes Namen unbarmherzig an anderen zu handeln, ist offensichtlich nicht der richtige Weg.
Gott selbst lässt wachsen. Gott selbst wird am Ende entscheiden.
Und wer weiß, vielleicht sind ja genau die, die in der Kirche so oft als sündig, krank oder falsch bezeichnet werden, weil sie anders leben als kirchliche Tradition es vorschreibt, Gottes „Lieblingsunkraut“, so wie bei mir der Giersch??
Ihre Stephanie Dormann, Pastoralreferentin

Auszug aus dem Wochenbrief Nr. 29-30