Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Leser:innen,
heute nehme ich Sie mit nach Köln und noch weiter nach Südtirol, genauer in das kleine Örtchen Mals. In Mals am Reschenpass gib es das kleine Kirchlein St. Benedikt. Dort sieht man auf einem Fresko eine Folterszene. Zwei unbekleidete Männer werden auf diesem Bild von anderen Männern festgehalten und ausgepeitscht. Einer der beiden ausgepeitschten Männer ist sehr beleibt; sagen wir es direkt: Er ist dick und hat einen großen Bauch. Allerdings erkennt man in seinem Gesicht kein Erschrecken vor der Folter. Es kann schon ermutigend sein, einen Heiligen zu sehen, der beleibt ist und nicht dem heutigen Schönheitsideal entspricht. Interessanter war jedoch, wie ein Einheimischer dies deutet: Die beiden dargestellten Personen, die ausgepeitscht werden, sind Paulus und Silas. Da Paulus und Silas in Philippi das Evangelium verkündeten und Jesus Christus als die einzige Wahrheit bezeugten, soll eine Wahrsagerin, die ihr Geschäftsmodell in Gefahr sah, dafür gesorgt haben, dass Paulus und Silas ausgepeitscht werden. Dies erklärt jedoch nicht den Bauchumfang des Paulus, zumal ich mir Paulus immer als Asketen vorgestellt habe. Auf meine Nachfrage wurde mir dann erklärt, dass die Leibesfülle vielleicht für das zufriedene und gelungene Leben des Paulus steht. Nach seiner Bekehrung und der Begegnung mit dem auferstandenen Christus fehlt es Paulus an nichts mehr. Selbst die Schläge machen ihm nichts mehr aus. Oftmals konzentrieren sich Glück und Zufriedenheit in der Kunst auf die Leibesmitte. Der Bauch ist Symbol für das beglückte Leben. Nehmen Sie nur das Bauchwachstum bis hin zur Geburt. In der Leibesmitte wächst das Leben. Ohne den Bauch könnten wir Menschen nicht atmen, da im Bauch der entscheidende Muskel sitzt, der die Atmung in Bewegung hält. Durch das Auf und Ab des Zwerchfells holt sich der Mensch den lebensnotwendigen Sauerstoff. Auch im Kölner Dom am Gerokreuz können Sie Jesus mit einem Bauch entdecken: Der Bauch weist auf das österliche Leben hin, das Kreuz ist nur ein Durchgang.
Das Fresko in Mals zeigt einen Paulus, der rundum zufrieden und glücklich ist, selbst unter Todesgefahr. So wünsche ich Ihnen diese Zufriedenheit und dieses Glücksgefühl – auch mit Blick auf den eigenen Bauch.
Joachim Brune, Pfarrer

Auszug aus dem Wochenbrief Nr. 42